Was und wie viel ist richtig?
Internetkonsum bei Kindern - Alles mit Maß und Ziel!
Der vollbesetzte Saal im Meraner „Pavillon des Fleurs“ sprach für sich: Das Thema brennt vielen Eltern und Erziehern unter den Nägeln.
Die beiden Fachfrauen, Primaria Donatella Arcangeli des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Fachärztin Benedetta Berlese, erklärten anschaulich, warum ein zu früher bzw. zu intensiver Konsum von elektronischen Medien nicht zu empfehlen ist.
Wussten Sie, dass das menschliche Gehirn erst mit rund 25 Jahren komplett ausgereift ist?
Gerade emotionale Einschätzungen, die rational hinterfragt werden müssen, fallen Kindern und Jugendlichen noch schwer. Die berühmte Achterbahn der Gefühle, das impulsgesteuerte Verhalten von zickigen Teenagern – charakteristisch für die Entwicklung und neurobiologisch erklärbar. Ist der Sohn oder die Tochter schnell gelangweilt, so ist das ebenfalls auf diese Phase der Entwicklung zurückzuführen.
In dieser sensiblen Zeit der körperlichen und geistigen Reife kommen Videospiele oder stundenlanges Internet-Surfen den jungen Menschen wie gelegen: Die Langeweile verfliegt und der Botenstoff Dopamin wird ausgeschüttet, sobald es neue, „belohnende“ Inhalte gibt, die überall und jederzeit verfügbar sind – und man muss dafür nicht mal aus dem Haus. Gerade das, so wiesen beide Fachärztinnen hin, sei der erste Schritt in Richtung Sucht: „Wir reden hier von ein bis zwei Jugendlichen von 10, die ihre sozialen Kontakte vernachlässigen und eine echte Sucht entwickeln“.
Wie bei allen Süchten glaubt man am Anfang, man habe das problematische Verhalten im Griff. Doch es sei eben nicht so leicht, wieder aufzuhören, und ab einem gewissen Suchtgrad dreht sich das ganze Denken nur mehr um das nächste Videospiel und die nächste Möglichkeit, wieder ins Netz einzusteigen. Schlaf wird zur Nebensache, obwohl gerade junge Menschen diesen benötigen würden, denn ohne Schlaf kommen sie zu keiner ausreichenden Erholung und Konzentration für den nächsten Tag.
Der Weg zur Internet-Sucht kann im schlimmsten Fall zur Entwicklung von „Hikkimori“ führen.
Der japanische Begriff bedeutet „die sich wegschließen“: Besonders junge Männer, meist überdurchschnittlich intelligent, kapseln sich ab und leben nur noch in ihrer eigenen Welt. Die echten Menschen „draußen“ werden als bedrohlich empfunden, zum Teil sogar die eigene Familie. Kontakte finden ausschließlich online statt. Hier kann nur noch eine kompetente Betreuung durch Fachleute helfen.
Aber sollte man nun den eigenen Kindern das Handy komplett verbieten?
Die Expertinnen verneinen das, rufen aber dazu auf, ein vernünftiges Verhalten vorzuleben und auch einzufordern. „Wir raten zu konkreten Vereinbarungen, wie lange und wofür die eigenen Kinder ins Netz dürfen“, so Benedetta Berlese. Selbstredend, dass über Konsequenzen bei einem Nicht-Einhalten gesprochen werden muss. Kinder unter 14 Jahren sollten so wenig wie möglich im Netz sein, in Italien sei derzeit sogar eine Petition dafür geplant.
In Spanien, so Primaria Donatella Arcangeli, wird gar empfohlen, dass Kinder unter 12 Jahren keinen Zugang zu einem Smartphone haben sollen. Selbst „Whatsapp“ sollte erst ab 16 Jahren genutzt werden.
Abschließend der dringende Rat der Expertinnen, den eigenen Umgang mit den elektronischen Medien zu hinterfragen: Wenn junge Mütter ihre Kinder bereits im Kleinkindalter mit Videofilmen auf dem Handy bespaßen, sei es schwierig, im späteren Alter zu einem gemäßigten Umgang aufzurufen.
Doch trotz allem darf das Netz nicht verteufelt werden: ob „digital natives“, also junge Menschen, die bereits mit Internet aufgewachsen sind, oder „digital immigrants“ (alle anderen) – allen stehen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten offen, die vor Jahrzehnten noch undenkbar waren.
Es folgten Statements und Fragen aus dem Publikum, auf die die Fachleute antworteten, und eine Podiumsdiskussion. Mit dabei war auch Michael Reiner, Leiter der Abteilung Beratung und Information bei Young & Direct.
Der Vortrag ist über folgendem Link auf YouTube verfügbar:
https://www.youtube.com/watch?v=L45X8fUoqmA
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“Brauchen” die Kinder das Internet wirklich?Dr.in Donatella ArcangeliDie rasanten Veränderungen der vergangenen zehn Jahre in unserer Gesellschaft haben auch die Erziehung der Kinder verändert: zum Besseren oder zum Schlechteren? Immer öfter dürfen Kinder das Internet und verschiedene elektronische Geräte benutzen und immer öfter zeigen sie Reizbarkeit und Unruhe. Sind wir sicher, dass die Kinder das Internet „brauchen“? Sind wir sicher, dass „Internet“ den Kindern guttut?
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Internetabhängigkeit und sozialer Rückzug: Ursache oder Konsequenz?Dr. Benedetta BerleseDer Gebrauch von Internet und Social media hat unter Jugendlichen deutlich zugenommen. Werden die digitalen Technologien jedoch nicht bewusst genutzt, können sie psychisches Unwohlsein, sozialen Rückzug und krankhafte Abhängigkeit zur Folge haben.
Mit
Primarin des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie
- Primarin des Betriebsweiten Dienstes für Psychiatrie und Psychotherapie im Entwicklungsalter
- Bezugsperson auf Betriebsebene für Autismus beim Südtiroler Gesundheitsbetrieb
- Koordinatorin des Netzwerks für Psychische Gesundheit des Südtiroler Sanitätsbetriebes
Fachärztin beim landesweiten Dienst für Kinder- und Jugendpsychiatrie
- Leiterin des Dienstes für Kinderrehabilitation des Gesundheitsbezirkes Meran
- Tätigkeit in der Fachambulanz für psychosoziale Gesundheit im Kindes- und Jugendalter und beim Dienst für Kinderrehabilitation im Gesundheitsbezirk Meran mit Schwerpunkt auf Störungen der neurologischen Entwicklung, sowie im Bereitschaftsdienst der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie des Krankenhauses Meran
Leiter der Abteilung Beratung und Information bei Young & Direct
MERAN, Pavillon des Fleurs, Freiheitsstraße 33
09.10.2024, 20.00 Uhr