Frauenleiden Endometriose

Reden wir endlich darüber!

Endo gut, alles gut!?

Mit einem Thema, über das frau meist nur hinter vorgehaltener Hand spricht, hat der Südtiroler Gesundheitsbetrieb nach der Corona-bedingten Pause an seine erfolgreiche Veranstaltungsreihe „Forum Gesundheit Südtirol“ angeknüpft. Im voll besetzten Saal des Bozner Pastoralzentrums ging es um das Frauenleiden Endometriose. „Reden wir endlich darüber!“, hatte der Veranstalter aufgerufen – und es wurde darüber gesprochen. Offen, frei und fachkundig.

„Forum Gesundheit Südtirol“ steht in der Tradition des österreichischen Mini-Med-Studiums, „das heißt Medizinerinnen und Mediziner referieren über Gesundheitsthemen und teilen mit dem Publikum ihr Know-how bezüglich Diagnose, Therapie und Prävention“, erklärte Florian Zerzer, Generaldirektor des Südtiroler Gesundheitsbetriebes. „Forum Gesundheit Südtirol“ geht aber noch einen Schritt weiter. „Das Format rückt auch Betroffene und Patientenvereinigungen in den Mittelpunkt. Im Fokus stehen also nicht nur pathologische Aspekte, sondern auch Erfahrung und Ratschläge. An das jeweilige Podium können dann im Rahmen des Abends – ganz individuell – Fragen gestellt werden. Und die Antworten stammen dann aus erster Hand.“

Was Ingrid Bergman mit Endometriose zu tun hat

Der erste Themenabend war dem Frauenleiden Endometriose gewidmet. Jede zehnte Südtiroler Frau leidet unter dieser chronischen Erkrankung, deren Hauptsymptom heftige zyklische Schmerzen unmittelbar vor oder während der Regelblutung ist. Am Podium saßen Martin Steinkasserer, Primar der Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Bozen, sowie Miriam Leopizzi und Ilaria Bona, Präsidentin und Vize-Präsidentin des Endometriose-Vereins Südtirol „Noi con Voi“. Durch den Abend führte Moderatorin Sabina Frei.

Primar Steinkasserer überraschte das Plenum zunächst mit Fotografien – unter anderem mit jenen der Weltstars Ingrid Bergman und Marilyn Monroe. Bergman stand, in Anlehnung an ihre Rolle der Paula im Film „Das Haus der Lady Alquist“ aus den 1940er-Jahren, Patin für das Phänomen „Gaslighting“ – die subtile, schleichende Manipulation. Im Film verstellt ihr Mann (gespielt von Charles Boyer) heimlich die Gaszufuhr, täuscht aber vor, das Flackern des Lichtes selbst nicht zu sehen. Paulas Realitäts- und Selbstbewusstsein wird so gezielt deformiert, sie glaubt schließlich, den Verstand zu verlieren.

„,Gaslighting‘ ist eine perfide Methode, um Menschen an den Rand des Wahnsinns zu bringen“, erklärte Dr. Steinkasserer. „Beschwichtigen Ärzte ihre Patienten ständig oder spielen deren Beschwerden herunter, spricht man von ,Medical Gaslighting‘. Folglich: Frauen, die unter starken Unterleibsschmerzen leiden und von Medizinern nicht ernst genommen werden, zweifeln am Ende an ihrer eigenen Wahrnehmung. Die Patientin bleibt ohne Diagnose zurück, mit den Schmerzen und Ängsten. Und dem Gefühl, sich alles nur einzubilden, selbstmitleidig und melodramatisch zu sein. Auch aus diesem Grund liegen zwischen dem Auftreten der Symptome einer Endometriose bis zur Diagnose im Schnitt zwischen 5 und 7 Jahren. Ärztinnen und Ärzte müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen und ihren Patientinnen zuzuhören.“

Zweithäufigste Erkrankung der Frau

170 Millionen Frauen weltweit leiden unter dieser Erkrankung, etwa 14 Millionen in Europa, in Italien etwa 3 Millionen. „Man kann also auf keinen Fall von einem seltenen Frauenleiden sprechen“, warf der Arzt ein. Im Gegenteil. Diese Pathologie stellt die zweithäufigste Erkrankung der Frau dar.

Dass Endometriose jahrelang unentdeckt bleibt, liegt auch an der Form der Symptome. Und es könnten sich dahinter andere Krankheiten verstecken. Eine eindeutige Diagnose ist aufwendig. Manche Knoten sind so klein, dass selbst Spezialisten sie übersehen. Für einen gesicherten Befund ist eine Bauchspiegelung notwendig, aber auch schon im Ultraschall oder auf Röntgenbildern können geschulte und aufmerksame Mediziner die Erkrankung entdecken.

Der Verlauf einer Endometriose ist von Frau zu Frau individuell. Manche Frauen krümmen sich vor Schmerzen, nichts geht mehr, Übelkeit und Erbrechen setzen ein. Endometriose-Herde können zudem beim Geschlechtsverkehr oder danach Schmerzen verursachen. Andere Frauen werden einfach nicht schwanger. Und hier brachte Steinkasserer die Schauspielerin Marilyn Monroe ins Spiel. „Monroe litt an Endometriose. Ein Teil ihres tragischen Endes hat auch sicherlich damit zu tun.“

Individuelle Symptome, individuelle Therapie

Was passiert eigentlich bei Endometriose? Dr. Steinkasserer: „Es handelt sich um eine chronische gynäkologische Erkrankung, bei der Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle wächst – etwa im Bauchraum, am Eierstock oder Eileiter, aber auch an Blase oder Darm. Wie die Schleimhaut in der Gebärmutter unterliegt es den monatlichen hormonellen Veränderungen: Es wächst heran und wird wieder abgestoßen. Allerdings kann die abgelöste Schleimhaut nicht wie bei der Monatsblutung abfließen, sondern bleibt im Körper. Dieses gutartige Gewebe kann sich entzünden und zu Verwachsungen führen.“ Um dem Plenum die Auswirkungen einer Endometriose auf den Körper zu veranschaulichen, hatte der Gynäkologe OP-Videos mitgebracht.

Ebenso individuell wie die Erkrankung sind auch ihre Therapien. Diese reichen von der Einnahme von Schmerzmitteln (Steinkasserer: „Wichtig ist, dass die Schmerzmedikamente frühzeitig eingenommen werden, damit sie die Produktion von Prostaglandin unterdrücken und damit die Entstehung der Schmerzen verhindern können.“) über eine Hormontherapie bis hin zu einem chirurgischen Eingriff. Besteht ein Kinderwunsch, ist die entsprechende Behandlung einzuleiten. „Darüber hinaus ist es wichtig, seine Lebensqualität durch Sport, Yoga, Tanz, richtige Ernährung und einiges mehr zu verbessern.“

Endometriose kostet die Gesellschaft Milliarden

Endometriose weist auch eine volkswirtschaftliche Komponente auf. Bei den Betroffenen handelt es sich meist um junge Frauen im reproduktionsfähigen Alter. Durch den chronischen Verlauf der Erkrankung kommt es häufig zu mehrfachen Operationen und in allen Fällen zu Schmerzen, die wiederum Arbeitsausfälle und Krankschreibungen nach sich ziehen. Man schätzt den reinen wirtschaftlichen Schaden, der durch diese Arbeitsausfälle in Europa jährlich anfällt, auf ungefähr 30 Milliarden Euro.

Zum Abschluss seines Referats richtete Dr. Steinkasserer noch einen Appell an den Gesundheitsbetrieb: „Zum Thema Endometriose bedarf es mehr Information, Fortbildung des Fachpersonals, klinischer Studien und spezialisierter Zentren, eine sogenannte ,Ticketbefreiung‘ auch für Frauen, die medikamentös gegen Endometriose behandelt werden … Südtirol könnte auf vielen Gebieten Vorreiter sein.“ Und zu den vielen anwesenden Frauen: „Vertrauen Sie sich, nehmen Sie sich Ernst, bleiben Sie hartnäckig. Und suchen Sie sich Verbündete!“

Von der „Alleinkämpferin“ zum Verein

Verbündete – Mit diesem Stichwort gab Dr. Steinkasserer den Staffelstab an Miriam Leopizzi und Ilaria Bona vom Endometriose-Verein Südtirol „Noi con Voi“ weiter. Beide haben selbst einen langen Leidensweg als Endometriose-Patientinnen hinter sich. Aus diesem Grund haben Leopizzi, Bona und weitere betroffene Frauen im vergangenen Jahr den Selbsthilfeverein ins Leben gerufen.

„Wir sehen uns als Anlaufstelle für Frauen mit Endometriose und weiteren Erkrankungen des Fortpflanzungssystems, die fachlichen, aber auch emotionalen, psychologischen und sozialen Beistand benötigen, um ihren Alltag als zu meistern“, erklärte Leopizzi. „Noi con Voi“ zählt derzeit 80 Mitglieder, organisiert Infoabende und Treffen. Der Verein unterstützt Frauen mit Präsenz, mit Worten und mit Taten. „Die wichtigste Unterstützung kommt aus dem Bewusstsein, nicht alleine zu sein und sich auf eine Gruppe verlassen zu können, die konkret hilft“, so der Verein, der mit Gynäkologen, Geburtshelfern, Mental Coaches, Osteopathen, Personal-Trainern, Ernährungsberatern und weiteren Fachleuten zusammenarbeitet.  Auf der Prioritätenliste weit oben, so Leopizzi, stehe eine Sensibilisierungskampagne in Schulen. Denn eine Endometriose tritt zumeist schon im Teenageralter auf. Und Mädchen müssten auf „softe“ Behandlungsmethoden hingewiesen werden.

Präsidentin Leopizzi schilderte dem Plenum ihre jahrzehntelange Odyssee. „Von der ersten Menstruation weg hatte ich starke Schmerzen, mir war übel, ich übergab mich. An bestimmten Tagen konnte ich kaum das Bett verlassen. Es war ein Trauma für mich“, erzählte die gebürtige Schweizerin. Eine hormonelle Behandlung, die Pille, bot vorübergehend Hilfe gegen die starken Beschwerden. „Als ich dann meinen Partner kennengelernt habe, wollten wir Kinder haben. Aber selbst nach 3 Fehlgeburten versuchte man mir immer noch zu erklären, meine starken Unterleibsschmerzen hätten psychische Ursachen.“ Erst spät wurde die Endometriose entdeckt; Leopizzi wurde operiert, und die nächste Schwangerschaft konnte sie austragen. „Nach dem zweiten Kind aber ist die Endometriose so richtig ausgebrochen, ich konnte das Bett nicht mehr verlassen. Mein Partner und ich entschieden uns daher für die Entfernung meiner Gebärmutter und Eierleiter.“

Einen langen Weg bis zu Diagnose hat auch Vize-Präsidentin Ilaria Bona hinter sich. „Ich war bei vielen Spezialisten, bis die Diagnose gestellt wurde. Auf meine Psyche hatte die Erkrankung schwere Auswirkungen. Ich fühlte mich all die Jahre als Alleinkämpferin.“

Nach den Referaten standen die Experten dem Publikum Rede und Antwort.

 

Bei Expertinnen und Experten nachgefragt

Im Anschluss an die Referate der Expertinnen und des Experten konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer Fragen stellen. Bei der Veranstaltung im Bozner Pastoralzentrum wurden zum Thema „Endometriose“ unter anderem folgende Fragen gestellt:

Was halten Sie von einer Embolisation als Therapie bei Endometriose?

Dr. Martin Steinkasserer: Es ist keine Alternative. Man kennt das Verfahren schon länger, und es wird erfolgreich bei der Therapie von Myomen eingesetzt. Bei dem Eingriff werden unter örtlicher Betäubung die Blutgefäße verschlossen, die das Myom versorgen. In der Behandlung von Endometriose spielt die Embolisation leider nur eine untergeordnete Rolle, weil Endometrioseherde weitaus ausgedehnter sind als Myome.

Bei richtiger Diagnose und Therapie – Ist Endometriose heilbar?

Dr. Martin Steinkasserer: Leider nein. Endometriose ist eine chronische, nicht heilbare Erkrankung. Nur das Fortschreiten der Krankheit kann eingedämmt werden. Selbst durch Operationen. Bei etwa 65 bis 70 Prozent der Frauen, die ihren Kinderwunsch abgeschlossen haben und sich einer Operation unterziehen, treten keine Symptome mehr auf. Aber: Grundsätzlich muss im Laufe des ganzen Lebens mit Beschwerden gerechnet werden.

Meine Tochter nimmt die Pille gegen die Beschwerden. Ist das die richtige Therapie?

Dr. Martin Steinkasserer: Wenn sie sie verträgt, auf jeden Fall.

Ich habe Schmerzen trotz hormoneller Therapie. Meine Ärztin rät zu Psychopharmaka.

Dr. Martin Steinkasserer: Endometriose-Patientinnen werden leider oft auf die „psychische Schiene“ geschoben. Aber man muss bei Schmerzen eingreifen. Mein Tipp: Weitersuchen nach einer Ärztin oder einem Arzt, der Ihnen in dieser Problematik zur Seite steht.

Abgesehen von der ärztlichen Therapie, welche zusätzlichen Maßnahmen sind hilfreich?

Dr. Martin Steinkasserer: Sport, autogenes Training, Physiotherapie, Ernährungsberatung und Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin und vieles mehr können zum Wohlbefinden der Erkrankten beitragen. Eine Methode, die allen Frauen hilft, gibt es leider nicht.

An welche Stellen im Südtiroler Gesundheitsbetrieb kann ich mich als Betroffene wenden?

Dr. Martin Steinkasserer: Beispielsweise an die Endometriose-Spezialambulanz am Landeskrankenhaus Bozen (dort wird eine akkurate interdisziplinäre Abklärung sowie eine operative, medikamentöse und interdisziplinäre Behandlung der Erkrankung nach den Richtlinien der nationalen und internationalen Fachgesellschaften angeboten, Anm.d. Red.; Kontakt siehe unten).

Man hört von verschiedenen Schweregraden der Endometriose.

Dr. Martin Steinkasserer: Weit verbreitet war die Klassifikation der American Society for Reproductive Medicine. Diese unterschied zwischen „minimal“, „mild“, „moderat“ und „schwer“, also 4 Schweregraden. Jedoch beziehen diese sich im Wesentlichen auf Endometrioseherde an Eileitern und Eierstöcken und beschreiben nicht schwere infiltrative Formen und Verwachsungen. Weitaus differenzierter ist der ENZIAN-Score, der insbesondere die tief infiltrierende Endometriose und deren häufiges retroperitoneales (hinter dem Bauchfell) Auftreten berücksichtigt. Auch diese Einteilung sieht 4 Schweregrade vor.

Ich schilderte dem Arzt meine Symptome und erhielt die Diagnose „Reizdarm“ („colon irritabile“).

Dr. Martin Steinkasserer: Mit dieser Diagnose würde ich mich nicht zufriedengeben. Die wird gestellt, wenn nichts mehr übrigbleibt.

Ist die Behandlung von Frauen mit Kinderwunsch dieselbe wie bei Frauen ohne Kinderwunsch?

Dr. Martin Steinkasserer: Eine hormonelle Therapie ist bei Frauen mit Kinderwunsch nicht möglich. Ich würde auch raten, eine Behandlung in einem Kinderwunsch-Zentrum in Betracht zu ziehen.

Welche Hilfe bietet der Endometriose-Verein Südtirol „Noi con Voi“?

Miriam Leopizzi und Ilaria Bona: Zu uns kommen auch Frauen vor der Diagnose. Wir beraten über Spezialisten, geben psychologische Unterstützung, helfen, durchzuhalten. Wir zeigen, wie man mit dieser Erkrankung leben kann. Aber wir wollen eines nicht: Dass man uns Betroffene bemitleidet. Wir wollen konkrete Lösungen für den Alltag.

 

Ambulatorium für komplexe Gynäkologie / Endometriose am Krankenhaus Bozen

Wo: Hauptgebäude, Abteilung Gynäkologie, 2. Stock, blauer Bereich
Wann: abhängig von der Warteliste
Vormerkung: Sekretariat Gynäkologie, 0471 438 048 / 439 797
Zugang: mit Bewilligung (direkte Ausstellung bei der Untersuchung)

 

Mit

Dr. Martin Steinkasserer
Primar der Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Bozen
  • Medizinstudium an der Universität Innsbruck
  • Ausbildung zum Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universitätsklinik Großhadern in München
  • Spezialisierung im Bereich Minimalinvasive Chirurgie und onkologisch-gynäkologische Chirurgie
  • 2016-2018 Primar der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe des Krankenhauses Bruneck
  • seit 2018 Primar der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe des Krankenhauses Bozen
Miriam Leopizzi
Präsidentin des Endometriose-Vereins „Noi con Voi“
Ilaria Bona
Vizepräsidentin des Endometriose-Vereins „Noi con Voi“

BOZEN, Pastoralzentrum, Domplatz 2
3. Mai 2023, 20 Uhr