„Hilfe!“ ruft das Herz

Prävention und Therapie von Herzinfarkten

Herzgesundheit stößt auf großes Interesse

Mit großem Erfolg ist die neue Veranstaltungsreihe des Südtiroler Sanitätsbetriebes, „Forum Gesundheit Südtirol“, gestartet. Im voll besetzten Saal des Bozner Pastoralzentrums nahmen zahlreiche Südtirolerinnen und Südtiroler die Chance wahr, sich medizinisches Fachwissen aus erster Hand zu holen.

„Die Vortragsreihe ‚Forum Gesundheit Südtirol‘ steht in der Tradition des österreichischen Mini-Med-Studiums, das heißt, Experten referieren über Gesundheitsthemen und teilen mit dem Publikum ihr Know-how bezüglich Diagnose, Therapie und Prävention“, erklärte Florian Zerzer, Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes. „Forum Gesundheit Südtirol geht aber noch einen Schritt weiter. Dieses neue Format rückt neben den Medizinern auch Betroffene und Patientenvereinigungen in den Mittelpunkt. An sie gemeinsam können – ganz individuell – Fragen gestellt werden.“ Der erste Themenabend war der Herzgesundheit gewidmet. „Krankheiten des Herzkreislaufsystems stellen die Todesursache Nummer 1 in Europa dar“, fasste Gesundheitslandesrat Thomas Widmann zusammen. Laut Astat waren sie für 37,6 Prozent der Todesfälle in Südtirol im Jahr 2018 verantwortlich.
Am Podium saßen Rainer Oberhollenzer, Primar der Kardiologie am Landeskrankenhaus Bozen, die Kardiologin Elisabeth Schöpf, Luis Durnwalder, Landeshauptmann a. D. und ehemaliger Herzpatient, sowie Walter Baumgartner, Präsident der Südtiroler Herzstiftung. Durch den Abend führte Moderatorin Sabina Frei.

Ike und Luis: Dieselbe Krankheit, zwei Perspektiven

Primar Rainer Oberhollenzer begann mit einem anschaulichen Vergleich. Der ehemalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower, genannt „Ike“, erlitt am 24. September 1955 einen Herzinfarkt. Es dauerte zwei Tage, bis der Politiker ins Krankenhaus eingeliefert und nach einem EKG die Diagnose gestellt wurde. Da die Arzte keine Therapiemöglichkeiten zur Hand hatten, verordneten sie strikte Bettruhe, später setzte man den Präsidenten in den Rollstuhl – das eine wie das andere unwirksam und falsch. Erst nach insgesamt acht Wochen war Ike wieder im Weißen Haus tätig.

Luis Durnwalder, Landeshauptmann a. D., verspürte am 10. Dezember 2013 gegen 2 Uhr Schmerzen in der Brust und rief die Rettung. Gegen 2.30 Uhr wurde er auf der kardiologischen Abteilung im Krankenhaus Bozen aufgenommen, wenig später erweiterten Primar Oberhollenzer und sein OP-Team die verengten oder verschlossenen Herzkranzgefäße mittels eines Ballonkatheters. Am darauffolgenden Montag saß Durnwalder wieder in seinem Büro im Palais Widmann. „Zwischen den Erkrankungen von Ike und Luis liegen 60 Jahre, in denen sich viel getan hat“, sagte Oberhollenzer. „Der wichtigste Faktor dabei: Eisenhower war nach dem Infarkt ein herzkranker Mann, der noch vier weitere Infarkte erlitt, und Luis Durnwalder gilt als herzgesund.“

Ein Herzinfarkt kommt plötzlich – seine Vorgeschichte aber reicht oft weit zurück. Ausschlaggebend ist zumeist der Lebensstil. „75 Prozent der Herzinfarkte in Südtirol lassen sich durch die klassischen Risikofaktoren – das sind erhöhte Blutfettwerte, Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und Stress – erklären“, schilderte Oberhollenzer. „Würden diese minimiert, würde die Anzahl der Infarkte – in Südtirol sind es jährlich 1500 – stark sinken.“
Der Arzt gab dafür auch gleich konkrete Tipps: „Mit Rauchen aufhören – besser heute als morgen; die Blutwerte und den Blutdruck optimieren; sich jeden Tag eine halbe Stunde bewegen; mehr Bewegung in den Alltag integrieren, beispielsweise die Treppe statt den Lift nehmen sowie das Fahrrad statt Auto oder Bus, Spaziergänge sollten einem Barbesuch vorgezogen werden.“ Die Basis der herzfreundlichen Ernährungspyramide bildet Wasser, die Spitze nehmen Lebensmittel mit tierischen Fetten und Milchprodukte ein. „Kochen Sie selbst, bevorzugen Sie naturbelassen Produkte, greifen Sie weniger zu industriellen Fertigprodukten, und verzichten Sie auf gesüßte Getränke“, riet Oberhollenzer. Gegen den Stress im Alltag empfahl der Experte unter anderem Yoga und Meditation, Atemtechniken oder Hobbys. Ebenso wichtig für die Herzgesundheit: das soziale Umfeld, sprich, Familie und Freunde, sich ehrenamtlich einbringen, den Mut haben, um Hilfe zu bitten.

Chronische Herzschwäche: Ein Netzwerk kümmert sich um die Patienten

„Nach dem Herzinfarkt ist vor dem Herzinfarkt“, warnte die Kardiologin Elisabeth Schöpf. „Die Wahrscheinlichkeit, erneut einen Infarkt zu haben, ist in den ersten sechs Monaten nach dem Herzinfarkt am höchsten und liegt nach fünf Jahren bei etwa 14 Prozent. Patienten müssen die Zeit nach einem Herzinfarkt als zweite Chance begreifen und ihre Verhaltensweisen aktiv ändern.“ Die Kardiologin pochte ebenfalls auf die Minimierung der Risikofaktoren, fügte aber die konsequente und kontinuierliche Einnahme der verschriebenen Medikamente sowie die psychologische Betreuung hinzu.

Einem Herzinfarkt folgen Rehabilitationsmaßnahmen, die auf die Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit hinzielen und individuell an die Patienten angepasst sind. Denn: „Zu viel überfordert den geschwächten Körper, zu wenig bringt langfristig keine Verbesserung. Als Grundlage dienen die persönlichen Risikofaktoren, die individuelle Belastbarkeit sowie der allgemeine Gesundheitszustand jedes einzelnen Patienten“, erklärte Schöpf.

Je nachdem, wie stark das Herz bei einem Herzinfarkt geschädigt wurde, ist die Pumpleistung des Muskels beeinträchtigt. Sind nur kleine Teile des Herzmuskels von dem Herzinfarkt betroffen, kommt es meist zu keiner Einschränkung der Herzleistung. Wenn hingegen große Teile des Herzmuskels betroffen sind, kann der Muskel so geschwächt sein, dass eine Leistungsschwäche bestehen bleibt. Auch die Bildung von Narbengewebe durch den Herzinfarkt kann die Pumpleistung des Herzens vermindern. In beiden Fällen spricht der Fachmann von chronischer Herzinsuffizienz.

„Die Behandlung der Herzinsuffizienz ist nicht alleine Angelegenheit des Arztes“, meinte Schöpf. „Patient, Angehörige und Fachkräfte des Gesundheitsdienstes bilden ein Team, wobei es Aufgabe des Patienten ist, Blutdruck, Gewicht, Wasser- und Salzaufnahme selbst zu kontrollieren und regelmäßig die Medikamente einzunehmen.“ Und ganz im allgemeinen gilt: Auf einen herzgesunden Lebensstil achten!

Zu diesem herzgesunden Lebensstil gehört unter anderem die Bewegung, wie sie beispielsweise der Verein „Südtiroler Herzstiftung“ in seinen Herzsportgruppen in ganz Südtirol anbietet. Herzstiftung-Präsident Walter Baumgartner stellte diese vor. Gebildet werden die Gruppen von Patienten mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese treffen sich mindestens ein Mal in der Woche und werden von einem Herzsportgruppenarzt sowie einem Physio- oder Sporttherapeuten betreut. Dabei wird ein ganzheitliches Konzept angeboten, das Bewegungs- und Sporttherapie, das Erlernen von Stress-Management-Techniken, die Änderungen des Ess- und Genussverhaltens sowie psychosoziale Unterstützung umfasst. Und es wird über die Krankheit informiert.

Luis Durnwalder: „Montag ist bei mir Sporttag“

Luis Durnwalder hat seinen Lebensstil nach dem Herzinfarkt nur ein wenig verändert. „Ich habe nie geraucht, nie übermäßig Alkohol getrunken, und ich habe mich mehr oder weniger vernünftig ernährt. Also sah ich diesbezüglich keinen Handlungsbedarf. Aber: Montag ist bei mir nun Sporttag“, verriet der Landeshauptmann a. D. „Dafür habe ich eigens einen Personal-Trainer engagiert. Außerdem nehme ich regelmäßig meine Tabletten, und der Alltagsstress ist sowieso weniger geworden. Ich fühle mich dank der Ärzte des Südtiroler Sanitätsbetriebes nunmehr wieder pudelwohl und möchte mein Leben nicht mit der ständigen Angst vor dem nächsten Herzinfarkt verbringen. Nur weil es manchmal zwickt, befürchte ich nicht gleich das Schlimmste.“

 

Bei Expertinnen und Experten nachgefragt

Im Anschluss an die Referate der Experten konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer im Bozner Pastoralzentrum Fragen stellen, die von den Fachleuten am Podium beantwortet wurden.

Der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt hat bis ins hohe Alter geraucht, und das, ohne einen Herzinfarkt zu erleiden. Welchen Einfluss hat das Rauchen tatsächlich auf das Herzinfarkt-Risiko?
Rainer Oberhollenzer: Raucher leben – laut einer amerikanischen Studie – durchschnittlich zwölf Jahre kürzer als Nichtraucher. Außerdem sterben Raucher doppelt so oft an einer Herz-Kreislauferkrankung wie lebenslange Nichtraucher. Nach einem Rauchstopp geht dieses Risiko kontinuierlich zurück. Von Helmut Schmidt spricht man, weil er die große Ausnahme bildete.

Ich bin 80 und hatte bereits einen Schlaganfall. Habe ich also auch ein erhöhtes Herzinfarktrisiko?
Rainer Oberhollenzer: Ein Zusammenhang besteht tatsächlich, denn beiden Erkrankungen liegen Gefäßprobleme zugrunde: Blutbahnen werden verstopft. Beim Schlaganfall erhalten betroffene Gehirnareale zu wenig sauerstoffreiches Blut und werden geschädigt, beim Herzinfarkt die Herzmuskeln. Die Risikofaktoren – also Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, schlechte Blutwerte, Bluthochdruck und soziale Vereinsamung – sind bei Herzinfarkt und Schlaganfall dieselben. Auch die medikamentöse Behandlung.

Stimmt es, dass sich die Blutfettwerte (Cholesterin) nur minimal durch die Ernährung beeinflussen lassen?
Rainer Oberhollenzer: Gesunde Ernährung eignet sich tatsächlich nicht immer, um die Cholesterinwerte zu senken. Aber es ist einen Versuch wert, ganz bewusst für längere Zeit auf tierische Fette und Milchprodukte zu verzichten. Oft aber ist der Cholesterinwert nur durch Medikamente beeinflussbar.

Ich leide an einer Herzrhythmusstörung. Darf ich dennoch bei einer Herzsportgruppe mitmachen?
Walter Baumgartner: Sogenannte „Gesunde“ und Menschen mit Herzrhythmusstörung werden in Zukunft in den Herzsportgruppen aufgenommen. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass der behandelnde Kardiologe oder der Hausarzt die geforderte Belastbarkeit bestätigt. Informationen zu den Gruppen erhalten Interessierte im Sekretariat der Herzstiftung unter der Telefonnummer 0473 270433.

Ich trage seit Jahren einen Stent. Kann er verrutschen oder reißen?
Rainer Oberhollenzer und Elisabeth Schöpf: Der Stent, eine kleine, gitterförmige Gefäßstütze, die bei der Aufdehnung von verengten Herzkranzgefäßen eingesetzt wird, wird mit hohem Druck in die Aderwand gepresst. Die Muskulatur zieht sich nach der Aufdehnung wieder zusammen und klemmt den metallenen Stent fest, so dass er nicht verrutschen kann. In den ersten drei bis sechs Monaten nach der Implantation müssen die Patienten aufgrund des Thromboserisikos, das am Stent herrscht, Medikamente einnehmen. Sobald er in die Blutbahn „eingeheilt“ ist, besteht kaum noch ein Risiko.

Warum kann man nicht durch die Kontrolle der Ablagerungen in den Blutgefäßen einen drohenden Herzinfarkt frühzeitig erkennen?
Rainer Oberhollenzer: Erst wenn die Gefäßweite um mindestens 75 Prozent eingeengt ist, kommt es zu Symptomen. Es ist aber nicht vorhersehbar, an welcher Stelle des Körpers die Plaques aufbrechen und sich Blutgerinnsel bilden.

Kann man präventiv Cardioaspirin einnehmen?
Rainer Oberhollenzer: Nur, wenn ein Patient nachweislich schon Probleme mit Verengungen der Blutgefäße hat. Ansonsten nicht.

Mein Arzt hat mich kürzlich mit der Aussage: „Sie hatten einen Herzinfarkt“ überrascht.
Rainer Oberhollenzer: Kleine, symptomfreie Herzinfarkte kommen manchmal tatsächlich vor.

Ich habe von einem alten Naturrezept mit Zitronen, Knoblauch und Wasser gehört, das die Plaques in den Blutgefäßen auflösen soll …
Rainer Oberhollenzer: Zitrone, Knoblauch, Wasser – An diesem Rezept gibt es nichts Ungesundes. Ich glaube allerdings nicht an Wundermittel. Um einen gesunden Lebensstil kommt niemand herum.

 

Mit

Dr. Rainer Oberhollenzer
Primar der Kardiologie am Landeskrankenhaus Bozen
  • Medizinstudium an der Universität Innsbruck
  • Facharztausbildung in Kardiologie in Padua
  • seit 1991 in Bozen als interventioneller Kardiologie tätig
  • seit 2011 Verantwortlicher der Kardiologie am Landeskrankenhaus Bozen
Dr.in Elisabeth Schöpf
Kardiologin am Landeskrankenhaus Bozen
  • Medizinstudium an der Università degli Studi di Verona
  • Spezialisierung in Kardiologie an der Università degli Studi di Verona
  • seit 2004 Fachärztin für Kardiologie am Landeskrankenhaus Bozen
Dr. Luis Durnwalder
Landeshauptmann a.D. und ehemaliger Herzpatient
Dr. Walter Baumgartner
Präsident Südtiroler Herzstiftung

BOZEN, Pastoralzentrum, Domplatz 2
Mittwoch, 19. Februar 2020, 20 Uhr